Wissenschaftliche Bibelexegese im Internet

September 27, 2006

Beispiel

Hier einmal ein praktisches Beispiel, welche Informationen ein Internetkommentar bzw. das dazugehörige Content Management System bieten müsste.

Grundsätzlich haben wir zwei Arten von Informationen:

  • 1) feststehende "traditionelle" Texte, die in einem Archiv als PDF o.ä. abgelegt werden. Dazu gehören beispielsweise der Bibeltext selbst (gescannte Handschriften, gescannte Druckausgaben des NT usw.) und Kommentarwerke (gescannter Evangelisch-Katholischer Kommentar, Word Biblical Commentary usw.). Zwischen dem Bibeltext und den Kommentaren - aber auch zwischen den Kommentaren selbst - besteht eine spezielle Art von Beziehung, die man mit G. Genette als Metatextualität einordnen könnte.
  • 2) dann aber auch die "ideale Informationsressource", die ähnlich wie die Wikipedia ständig und von jedem Nutzer bearbeitet und ergänzt werden kann und die bereits archivierten Kommentartexte zusammenfasst (aber ggf. auch darüber hinausgeht).
Beispiel: 1) Archivtexte: Mt 28,1 (nach der Druckausgabe des Nestle-Aland 27. Aufl.) und die Kommentare zu diesem Vers von Gnilka, Matthäusevangelium II, 1988, S. 493; Davies/Allison, Matthew III, 1997, S. 663-664; Nolland, Matthew, 2005, S. 1244-1246.
Die Kommentare beschäftigen sich mit verschiedenen Einzelproblemen zu diesem Vers, wiederholen sich aber auch. Software: Die Software muss eine geschickte Verlinkung der Einzeltexte ermöglichen, sodass man sich je Vers von einem digitalisierten Kommentar zum anderen mühelos weiterklicken kann.

2) Wie kann man die Aussagen so verschiedener Kommentare in einer "idealen Informationsressource" sinnvoll zusammenfassen?
Es müssen berücksichtigt werden: a) die unterschiedlichen Wörter/Ausdrücke im Bibeltext Mt 28,1, auf die referenziert wird (z.B. "mia sabbaton" oder "theoresai ton taphon"); b) die unterschiedlichen Fragestellungen (Methoden), mit denen die "Daten" verarbeitet werden. Ein sehr simples Modell dafür wäre eine zweidimensionale Matrix: die Spalten seien die einzelnen Ausdrücke/Referenzpunkte/Daten und die Reihen beschreiben jeweils eine bestimmte Form der Fragestellung/Datenverarbeitung (z.B. sprachliche Analyse, Textkritik, Gattungsanalyse, strukturelle Bezüge zu heute[Anwendung]). In den einzelnen Feldern der 'Tabelle' würde man die jeweiligen Beobachtungen als Datensätze ablegen. (In Wirklichkeit ist das ganze schwieriger, weil die einzelnen Fragestellungen/Methoden ineinander verschachtelt sind.) Software: Die Software muss es möglich machen,
- bestimmte Datensätze aus den Kommentaren zusammenzufassen, selbst zu verfassen und zu überarbeiten
- den User die Datensätze nur streng entlang der jeweiligen Methode schreiben zu lassen (z.B. eine Fehlermeldung ausgeben, wenn eine Beobachtung gemäß einer Fragestellung ungültig ist)
- durch einen Klick auf "Methode" auch die Methode zu bearbeiten, die die Datensätze einer 'Reihe' strukturiert
- neue Fragestellungen/Kategorien anzulegen
- sich den gesamten Kommentar zu einem Vers anzuschauen oder auch bestimmte Fragestellungen (z.B. "Gattung" würde dann nur die Gattungsdiskussion zu jeder Perikope anzeigen).

Literatur

Hier sind zwei interessant klingende Literaturangaben, die ich jedoch noch nicht näher kenne:

Eep Talstra & Janet Dyk: "The computer and biblical research. Are there perspectives beyond the imitation of classical instruments?" In: W. Th. van Peursen/R. B. ter Haar Romeny (Hg.), Text, translation, and tradition. Studies on the Peshitta and its use in the Syriac tradition presented to Konrad D. Jenner on the occasion of his sixty-fifth birthday, Leiden u.a.: Brill, 2006, S. 189-203.

Christof Hardmeier/W.-D. Syring/J.D. Range/E. Talstra (Hg.), Ad Fontes! Quellen erfassen - lesen - deuten. Was ist Computerphilologie? Ansatzpunkte und Methodologie - Instrumente und Praxis, Beiträge der Tagung "Computerphilologie", Universität Greifswald, November 5-8, 1998, Applicatio 15, Amsterdam 2000.

September 18, 2006

Citizendium und Textop

Larry Sanger, der einst den (erfolglosen) Vorläufer der Wikipedia entwickelte, hat einen neuen Versuch gestartet, die Arbeit mit Wikis für Wissenschaftler interessant zu machen: Citizendium.

In seinem weitsichtigen Essay "Toward a New Compendium of Knowledge" schreibt er:
"In the next year, by the end of 2007, every major university, library, museum, archive, professional organization, government, and corporation will be asking themselves with increasing urgency: how, using what systems and methods, can we pool the entire world's intellectual resources to create the ideal information resource?"

Citizendium ist nach Sanger nur ein Zwischenschritt auf diesem Weg. Bis 2007/2008 soll Textop entwickelt sein. Die Ideen, die in der Mailinglist z.B. vom August beschrieben werden, sind außerordentlich interessant.

Ein wissenschaftlicher Bibelkommentar im Internet sollte in ein übergreifendes Konzept der Wissensdarstellung eingebettet sein. Wird Textop - falls das Projekt etwas wird - so ausgereift und erweiterungsfähig sein, dass man damit vernünftig kollaborativ arbeiten kann?

September 03, 2006

Wikinger und Wikiversity

Ein Versuch eines Internetkommentars ist der "Postmodern Bible Commentary" von Tim Bulkeley (Auckland), der sich auf das Amosbuch beschränkt. Ich halte das für eine nette Idee eines einzelnen Idealisten, der sich schon seit 10 Jahren damit herumschlägt, aber die Benutzeroberfläche und die Software insgesamt lässt noch sehr zu wünschen übrig. Ein gemeinsames Arbeiten am Text im Sinne eines Wikis scheint ebenfalls nicht möglich zu sein.

Interessant ist die neu gegründete Wikiversity, ein Ableger der Wikipedia. Während die Wikipedia dazu gedacht ist, das bekannte Wissen zu einzelnen Themen zusammenfassend darzustellen (im Sinne einer Enzyklopädie), soll die Wikiversity-Oberfläche für das Schaffen neuen Wissens nützlich sein. Jeder kann sich hier selbst ein Urteil bilden. Ich bin skeptisch, ob das die Killer-Applikation sein wird. Für gemeinsames wissenschaftliches Diskutieren und Publizieren im Internet braucht man noch eine andere Software.

Viel versprechend scheint mir zu sein, dass die europäische Antwort auf Google Books, die Quaero-Suchmaschine, auf deutscher Seite auch die Entwicklung von Wissensmanagement-Systemen einschließen soll (laut Wikipedia). Wollen wir hoffen, das etwas Sinnvolles dabei herauskommt. Meistens sind ja doch nur Informatiker und BWLer unter sich und m.E. auf dem Holzweg, weil sie von der methodischen Struktur der Geisteswissenschaften wenig wissen und diese auf ihr kleines Prokrustesbett legen, während die klassischen Geisteswissenschaftler sich nicht mit solchem modernen Kram abgeben wollen und dementsprechend auch gar nicht ahnen, dass es ganz neue Möglichkeiten der strukturierten Wissensorganisation und des Wissensaustausches gibt oder geben könnte. Das ist ein Problem, das mir immer wieder auffällt.

Erwähnenswert ist auch das WIKINGER-Projekt, das vom Fraunhofer Institut für Medienkommunikation durchgeführt wird und das sich exemplarisch mit der Geschichte des Katholizismus im 19./20. Jh. beschäftigt. Die Beschreibung von WIKINGER ist ganz informativ, aber ich glaube nicht, dass uns die Verknüpfung von Eigennamen und Ereignissen mithilfe semantischer Netze und die Nutzung dieses Datenbestandes durch ein Wiki weit voranbringen wird.

Bestimmt ist es also wieder Google, das in 2-4 Jahren eine nützliche Anwendung herausbringen wird, die über Blog, Wiki und Writely hinaus das gemeinsame wissenschaftliche Arbeiten im Internet intuitiv und kinderleicht macht. Hallo, Europäer, wann werdet ihr endlich wach!?

Herzlich willkommen

Auf diesem Blog sollen bisherige Bemühungen dokumentiert werden, die das Internet für biblische Exegese nutzen. Ziel ist auch, Vorschläge dazu zu sammeln und zu diskutieren.

Dabei geht es nicht um bloße Quellensammlungen (z.B. Early Christian Writings) oder eingescannte Buchveröffentlichungen (Google Books). Auch nicht um die zahlreichen Blogs zum Thema (z.B. NT Gateway Weblog, Codex Biblical Studies). Der Grundgedanke ist der, dass sich ein Kommentar zu den einzelnen biblischen Büchern nach dem Wiki-Prinzip kollaborativ erstellen ließe und auch frei verfügbar wäre.

Wissenschaftler, die ihre Qualifikation durch eine (ggf. in Arbeit befindliche) Promotion in einem bibelexegetischen oder verwandten Fach nachweisen können, wären zum Erstellen und Ändern der Beiträge berechtigt. Dabei müsste besonderes Augenmerk auf unterschiedliche Fragestellungen gelegt werden, mit denen man an die Bibeltexte herangehen kann, und deren Beziehungen untereinander; ebenso auf eine übersichtliche Struktur für unterschiedliche Antwortmöglichkeiten und auf die Pro/Kontra-Diskussion der jeweiligen Antworten. Blogs sind dafür nicht geeignet. Vielleicht andere Formen der Internetkommunikation? Was meint Ihr/meinen Sie?